Brave New Influencer
VOMIT – Victim of Modern Imaging Technology
Christoph Ruwwe-Glösenkamp
11. Dezember 2025
Kennen Sie Bryan Johnson? Er ist der Tech-Milliardär, der Millionen ausgibt, um seinen biologischen Alterungsprozess umzukehren. Er misst alles, schluckt Dutzende Pillen und optimiert jede Minute seines Lebens. Ich folge ihm auf X/Twitter (neben mir noch 1 Millionen andere Leute). Ich folge auch einigen anderen „Longevity“-Podcastern und Biohackern. Ich finde den Ansatz faszinierend, präventiv zu denken, statt nur Krankheiten zu verwalten. Es steckt viel Gutes in diesem neuen Bewusstsein für Gesundheit.
Doch neulich stolperte ich über einen Tweet von Johnson, der mich innehalten ließ – und der exemplarisch für ein riesiges Problem steht.
Der Tweet: "You’re gonna need a new doctor"
Eine amerikanische Ärztin (Dr. Kelly Morrison) postete ein Video mit der Aussage: „There is no such thing as a 'preventative MRI'“ (Es gibt kein präventives MRT). Ihre Aussage basiert auf medizinischer Evidenz: Ungezieltes Scannen gesunder Menschen führt oft zu Fehlalarmen, unnötigen Eingriffen und psychischem Stress – sogenannter Überdiagnostik.

Bryan Johnsons Antwort darauf war kurz und vernichtend: „Doctor, you’re gonna need a new doctor.“
Für ihn und seine Anhänger ist die Sache klar: Wer nicht alles misst, was technisch machbar ist, hat keine Ahnung. Mehr Daten gleich mehr Gesundheit. Wer bremst, ist von gestern.
Das "Zeitungs-Phänomen" bei Podcasts und Influencern
Dieser Moment erinnerte mich an ein Phänomen, das wir alle vom Zeitunglesen kennen (den sogenannten Gell-Mann-Effekt): Man liest einen Artikel über ein Thema, in dem man selbst Experte ist – in meinem Fall die Pneumologie – und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, weil Dinge vereinfacht oder falsch dargestellt werden. Aber: Man blättert um, liest den Artikel über Wirtschaft oder Politik und glaubt dem Journalisten dort wieder jedes Wort.
Genau so geht es mir oft mit medizinischen Influencern oder auch beim Hören von Podcasts. Wenn sie über Gesundheitsoptimierung oder Ernährung reden, nicke ich interessiert. Aber sobald sie mein Fachgebiet streifen oder komplexe Themen wie „Screening und statistische Wahrscheinlichkeiten“ mit einem Einzeiler abtun, merke ich: Hier fehlt etwas das Verständnis für Komplexität.
Das Dilemma mit der Früherkennung: Warum "Suchen" oft nicht "Finden" heißt
Was Influencer oft nicht verstehen: Es ist medizinisch extrem schwer, für Früherkennung überhaupt einen validen Nutzen nachzuweisen.
Nehmen wir mein Fachgebiet, die Lungenkrebsfrüherkennung mittels CT. Wir sprechen hier von einer absoluten Hochrisikogruppe: Starke Raucher, die das über viele Jahre getan haben. Man sollte meinen: „Na klar, da einfach regelmäßig reinzuschauen, muss doch Leben retten!“ Die Realität ist ernüchternd: Es brauchte riesige Studien und Jahrzehnte der Forschung, um überhaupt einen statistischen Vorteil herauszuarbeiten. Und selbst in dieser Hochrisikogruppe ist der tatsächliche Gewinn an Lebenszeit oft marginaler, als man denkt – erkauft durch viele Fehlalarme.
Oder nehmen wir das Mammographie-Screening. Auch hier ist die Datenlage alles andere als eindeutig. Es gibt ernstzunehmende Daten, die zeigen, dass es unselektiert kaum einen Überlebensvorteil bringt ("bringt nichts"), dafür aber massive Überdiagnostik und unnötige Operationen verursacht.
Wenn es also schon bei schwer kranken Risikogruppen (Raucher) so ein statistischer Kampf ist, einen Nutzen zu beweisen – wie wahrscheinlich ist es dann, dass ein wahllosem Ganzkörper-MRT bei einem fitten 30-Jährigen mehr nützt als schadet?
Influencern fehlt hier oft das Verständnis für die "Trade-offs". Medizin ist nicht Informatik. Mehr Daten heißt oft nur: Mehr Rauschen, mehr Angst, aber nicht mehr Gesundheit.